Verbier, Zermatt, Saas Fee. Berglegenden, Hörnli und das gefeierte Matterhorn. Kenn ich, werdet Ihr sagen. Hier geht’s ums Wallis. Aber wusstet ihr auch, dass es eine der trockensten Regionen des gesamten Alpenraums ist? Kleiner Exkurs in Sachen Meteorologie: Im Norden regnen die Luftmassen an den Berner Alpen ab, vom Süden kommende Luftmassen regnen südlich der Walliser Alpen ab. Dazwischen liegt zum Beispiel Grächen. Zwischen 1960 und 1990 fielen hier nur 523 mm Niederschlag jährlich im Durchschnitt (in München waren es 974 mm) und die Hälfte aller Tage im Jahr war wolkenlos.
Woher ich das alles weiß. Von Kurt. Kurt Brigger hat es mir erzählt, seines Zeichens Hobby-Historiker in Sachen Suonen und das wandelnde Lexikon von Grächen, jenem Örtchen auf einem Hochplatteau auf 1600 Metern gelegen, dort wo die Täler nach Zermatt einerseits und Saas Fee andererseits ihren Ausgang nehmen. Von einer „Sonnenterrasse“ spricht man hier gern. Und da ist etwas Wahres dran, wie die oben genannten, meteorologischen Fakten beweisen. Grächen ist das „Wallis für Kids“, besonders wegen seiner Suonen. Wer wissen will, was das ist und warum es die hier gibt, der fragt Kurt.
Zauberwasser
Wer früher als Bauer in dieser trockenen Gegend Land zu bewirtschaften hatte, musste sich etwas einfallen lassen. Man bediente sich aus den Abflüssen des oberhalb Grächens gelegenen Riedgletschers, sammelte das Wasser direkt unterhalb der Gletscherzunge und führte es entlang gegrabener Kanäle durch das Hochplateau. Diese künstliche Bewässerung dürfte schon im 14. Jahrhundert hier eingeführt worden sein, weiß Kurt zu berichten. Nicht in Grächen selbst, aber andernorts im Wallis zimmerten die Bauern kilometerlange Kanäle aus Holz, die sie entlang steiler Felswände befestigten.
Was in Südtirol bei Meran als Waalwege bekannt geworden ist, nennt man hier Suonen oder Wasserleite, und sie sind heute nicht einfach nur sorgfältig gepflegte Relikte aus längst vergangenen Zeiten. Noch immer bewässern Grächener Bauern auf diese Weise ihr Land – aufgeteilt in Genossenschaften, die die Wasserleiten unter sich aufteilen. Mehr noch als heute waren sie aber früher jenes „Zauberwasser“, als das man sie heute touristisch verkauft. Früher waren sie wertvoller als Gold. Eggeri, Chilcheri, Dieri und Bineri – so heißen sie – ziehen sich insgesamt über 18 km durch die Wälder und Wiesen. Als Familiendestination profitiert Grächen von ihnen aber zusätzlich, lässt es sich entlang der Suonen doch herrlich wandern, besonders an heißen Tagen.
Wandern im Flow
Während ich Kurts unzählige Details zur Grächener Bewässerungsgeschichte abzuspeichern versuche, steigen die Kinder vom Grächener See und der Kneippanlage hinauf zur obersten und längsten Suone, der Eggeri. Antjes kurze Beine sind schon ein wenig müde, aber ein erstes Bad im gletscherkalten Wasser des kleinen Kanals bringt das Blut und die Beine wieder in Bewegung. Die Schuhe werden Oma und Opa in die Hand gedrückt, und befreit von diesem Ballast laufen die Kinder wieder zu Höchstform auf. So wird der Wanderweg unaufgefordert zum Barfussweg.
Immer wieder lädt der künstliche Bach zum Spielen und Erfrischen ein, gelegentlich blitzen die 3000er von gegenüber und das Weißhorn durch die Lärchen hindurch bis die Eggeri nach etwa drei Kilometern auf 1850 m auf den Riedbach stößt, dort wo einst der Gletscher endete und wo die oberste Fassung für die Grächener Wasserleiten erbaut wurde. Wir wechseln zur Chilcheri und nun geht es wieder bergab. Dan legt einen Tannenzapfen ins Wasser. Die Suone trägt ihn talwärts und die Kinder hüpfen neben ihm her. Schaut man durch den Wald hinab, erblickt man die zwei unteren Wasserleiten, wie sie sich wie türkisblaue Bänder durch den Wald schlängeln. Kurt zeigt uns eine alte, schon etwas marode Teilung des Kanals. Wir passieren eine Lichtung, die den Blick über das Tal auf Berge freigibt, die Namen tragen wie Wyssegga, Stellihorn, Üssers Barrhorn oder Schwarzhorn. 3000 Meter Höhe sind hier Standard.
Steinböcke für Frühaufsteher
An den Suonen in Grächen wandert es sich wie im „Flow“. Was fehlt, ist der Gipfel. Den gibt’s am nächsten Tag in Gestalt des Wannehorns (2669 m). Wer sich mit Wanderführerin und Märchengondel früh aufmacht, hat gute Chancen, auf dem Weg hier herauf Steinböcke zu beobachten, so wie wir.
Etwa 500 Höhenmeter sind es von der Bergstation der Hannigalp-Bahn zum Grächener Hausberg-Gipfel mit Panorama bis zum Aletschglescher im Norden und zum Weißhorn im Süden. Einzig die Aussicht auf eine Brotzeit im urigen Hannighüsli kann uns von diesem Logenplatz wieder herunterlocken.
Und das Matterhorn? Nein, das sieht man nicht von Grächen aus. Aber seit diesem Sommer können Grächen-Urlauber mit Postbus und Matterhorn Gotthard Bahn nach Zermatt und dort sogar auf den Gornergrat fahren, um dem Matterhorn nahe zu kommen. Kostenlos. Fast. Denn das gilt für Besitzer der neuen Goldcard, Grächens Antwort auf den Frankenschock im Januar, und die kostet 5 Franken je Übernachtung. Dafür bietet sie etliche Inklusiv-Angebote, darunter freie Fahrt mit den Bergbahnen – und eben das Matterhorn. Kurt dürfte das egal sein. Der war schon dreimal oben.
Meine Reise ins Wallis erfolgte auf Einladung des Tourismusverbands Grächen.
Weitere Informationen zur Familiendestination Grächen findet Ihr unter www.graechen.ch.
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Wunderbar lakonisch! ;) Und informativ. Hört sich an, als ob sich’s in Grächen auch ohne Kinder ganz gut aushalten ließe. Die Kanäle erinnern mich übrigens außerdem an den Bayerischen Wald. Dort gibt’s in der Nähe von Finsterau einen sogenannten Schwellgraben, der Wasser für die Holztrift von A nach B geleitet hat. Die ziemlich ausgeklügelten Holztrift-Anlagen sind recht gut erhalten und kurz erklärt.
Hallo Nadine, ausgeklügelt, ja das sind diese Wasserleitungen in Grächen auch, vor allem die Aufteilung des Wassers, welcher Bauer wann wie lange sein Land damit wässern durfte. Kurt hat es mir erklärt, aber da bin ich irgendwann ausgestiegen ;) Die Kinder in Grächen hatte ich mir ja „geliehen“ und sie haben super mitgemacht! LG
Wir waren gerade eine Woche in Grächen, ein wunderbares Dorf. Und den Gipfel des Matterhorns sieht man gut von der Hannigalp – oder auch von Bärgji. lg